„Freedom!“
Tatjana Patitz im Interview
Letzte Woche meldete die Bild-Zeitung: „Tatjana Patitz geht auf Model-Kollegin los.“ Unter der Schlagzeile war von einem „Model Zoff“ zwischen Heidi Klum und Tatjana Patitz die Rede. Was war geschehen?
Jedenfalls nichts von alldem: Tatjana Patitz war auf niemanden losgegangen, hatte Heidi Klums Namen gegenüber der Bild kein einziges Mal erwähnt, und überhaupt hatte die passionierte Tierschützerin während ihres Besuchs in Deutschland keiner Fliege etwas zuleide getan. Die Boulevardpresse hatte sich das Szenario der Sensation zuliebe ausgedacht – der typische Bild-Fall, wie ihn schon Schüler erläutert bekommen, wenn sie im Deutschunterricht Heinrich Bölls Erzählung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ durchnehmen…
Nun schützt Wissen natürlich nicht davor, empört zu sein; und so griff „Mega“-Chef Ted Linow, der Tatjana Patitz seit vielen Jahren mit seiner Agentur vertritt, gleich zum Telefonhörer, sprach zuerst mit ihr und dann mit der Bild, um leidenschaftlich Beschwerde einzulegen gegen die Verbreitung der Unwahrheit. Der angebliche „Model-Zoff“ hatte ja nur am Schreibtisch der Bild-Journalistin stattgefunden, nicht aber im Leben der beiden Models, die sich bislang nur ein paarmal flüchtig begegnet und weder Freundinnen noch Feindinnen sind, sondern schlichtweg Kolleginnen. – Doch zu spät: Die Geschichte machte bereits die Runde und wurde von anderen Medien übernommen…
„Da kann man nichts machen“, sagt Tatjana Patitz am Telefon: „Erfundene Schlagzeilen muss man einfach ignorieren. Noch beim Versuch, sie richtigzustellen, gibt man der Boulevard-Presse nur wieder eine Plattform.“ Sie selbst halte sich stets an das Lebensmotto: „Leben und leben lassen! Jeder soll und darf tun, was er für richtig hält; ich bin nicht der Typ Mensch, der über andere urteilt.“
Ende der achtziger Jahre zählte Tatjana Patitz zum kleinen Kreis derjenigen Models, deren atemberaubende Karrieren den Begriff Supermodels überhaupt erst entstehen ließen. George Michael engagierte Tatjana Patitz – neben Christy Turlington, Cindy Crawford, Linda Evangelista und Naomi Campbell – 1990 für das Video zu seinem Song Freedom.
Haben Sie auf den Songtext geachtet? Da heißt es an einer Stelle:
All we have to do now is take these lies and make them true somehow!
Auf Biegen und Brechen Geschichten erfinden, als ob es künftige Wahrheiten wären? Sie mögen im Song gut klingen oder in manch einer Redaktion, aber wenn es um Tatjana Patitz geht, sollte man auf solche Effekthascherei verzichten.
Dass es auch anders geht, zeigt das folgende Gespräch mit Tatjana Patitz, das von ihr autorisiert worden ist, wie alle Interviews in diesem Blog.
K.K.: Wie geht es Dir?
Tatjana Patitz: Danke, sehr gut!
Und was machst Du gerade?
T-e-l-e-f-o-n-i-e-r-e-n !? Ich sitze in meinem Hotelzimmer in Paris, wo ich gestrandet bin…
Wie meinst Du das?
Geplant war, dass ich für Chantelle nur kurz in Paris bin, aber jetzt stecke ich hier fest. Momentan sind ja alle Flughäfen gesperrt. – Naja, so habe ich wenigstens endlich mal Zeit, um ein paar Freunde zu treffen. Draußen scheint die Sonne, es ist ein wunderbarer Tag hier!
Dann gehst Du gleich shoppen?
Nein, das wohl eher nicht, Jonah geht nicht gern in Boutiquen…
Wer?
Jonah, mein sechsjähriger Sohn. – Meistens machen wir das, was er will; manchmal aber auch das, was ich mir wünsche. Am besten ist natürlich, wenn wir beide auf die gleiche Unternehmung Lust haben; das klappt auch manchmal. (Sie lacht fröhlich.)
Sieht er auch so besonders aus wie Du?
Alle Mütter finden doch, dass sie die schönsten Kinder haben, oder?
Gerade ist bei uns die neue Olsen–Kampagne mit Dir erschienen…
Und mit Christina Kruse und Cordula Reyer, zwei Kolleginnen, die ich sehr schätze. Die Aufnahmen wurden vor einem halben Jahr in Barcelona gemacht. Wir haben uns sehr gut verstanden; ich denke, das sieht man auch auf den Fotos. Mir gefällt die Olsen-Kleidung, der sportlich-elegante Stil der Kollektion, die etwas für ganz unterschiedliche Frauen ist.
Fühlt sich die Arbeit vor der Kamera für Dich heute anders an als früher?
Ja, klar. Die Zeiten, in denen ich aufgeregt im Flieger sitze, sind natürlich längst vorbei: Man wird ruhiger mit den Jahren! Aber dennoch gibt es immer wieder Neues zu entdecken, bei einem selbst, bei den anderen Menschen und natürlich in der Mode, die sich ja ständig wandelt. Nach all den Jahren im Beruf suche ich mir meine Jobs sehr sorgfältig aus, und wenn ich dann am Set bin, genieße ich die Arbeit im Team.
Du bist in der aktuellen Ausgabe der französischen Elle zu sehen, so wie auch Claudia Schiffer. Im vergangenen Herbst sah man Dich unter anderem in der deutschen Vogue. Dann die verschiedenen Kampagnen: Mariella Burani, Marina Rinaldi, Olsen, Chantelle… Wie erklärst Du Dir Deinen und den Erfolg der anderen Supermodels seit so vielen Jahren…
Das kann ich schlecht sagen, ich bin ja eine von ihnen und zu nah dran. Eine Zeitlang sind viele Cover und Modekampagnen an Celebrities vergeben worden, das ändert sich jetzt langsam wieder. – Schade finde ich, dass die Öffentlichkeit einige Jahre lang die Namen vieler Models nicht mehr kannte, weil neue Mädchen jeweils schnell durch andere neue Mädchen ersetzt wurden. Aber ich glaube, dass auch dieser Trend langsam wieder kippt. Und noch eine Veränderung fällt mir auf: Models dürfen heute auch mal etwas älter sein. Das liegt wahrscheinlich daran, dass viele der Kundinnen sich besser mit erwachsenen Frauen identifizieren können als mit 16-jährigen Mädchen.
Sind weibliche Rundungen wieder gefragt?
Es gibt ja viele parallele Trends; einer davon geht auf jeden Fall in diese Richtung: Ich glaube, dass Models insgesamt nicht mehr so mager sein werden in Zukunft. Man sieht das ja jetzt schon an einigen Mädchen, beispielsweise an Lara Stone. Sie ist einzigartig, sehr hübsch und hat auch einen Körper! Es freut mich, dass sie so erfolgreich ist.
Erinnerst Du Dich noch an Deine Anfangszeit?
Natürlich! Als ich nach Paris kam, habe ich oft für die Elle gearbeitet. Der Durchbruch gelang dann, als Peter Lindbergh mich zum ersten Mal für die französische Vogue fotografierte.
Damals hast Du in New York eine Zeitlang mit Cindy Crawford und Stephanie Seymour zusammengelebt. Eine Model-WG der Extraklasse… War das nicht schwierig? Drei angehende Supermodels auf so engem Raum?
Nein, im Gegenteil: Wir haben ja auch oft zusammen vor der Kamera gestanden und waren und sind befreundet, wobei wir inzwischen natürlich alle unsere Familien und Rückzugsorte in unterschiedlichen Ländern und Städten haben. Da sieht man sich nicht mehr so häufig, nur hier und da noch manchmal, sei es bei der Arbeit oder irgendwelchen Festivitäten.
Du bist eines der Lieblingsmodels von Peter Lindbergh. Wie ist es, mit ihm zusammenzuarbeiten?
Ich liebe es, mit ihm zu arbeiten. Er ist für mich einer der Fotografen, die mich am besten fotografieren. Ein ganz besonderer Mensch, immer positiv eingestellt, er versprüht eine tolle Energie!
Treibst Du viel Sport, um fit zu bleiben?
Ich mache Yoga, ich reite, gehe wandern und fahre soviel wie möglich Fahrrad. Außerdem habe ich meinen Sohn, der mich auf Trab hält. Und daheim in Malibu auch noch meine Tiere: vier Pferde, vier Hunde und eine Katze…
Poppy (rechts außen) ist Ted Linows Boxerhündin Mary wie aus dem Gesicht geschnitten!
Dann ist bei Dir zu Hause ja immer tierisch was los…
Absolut, ich liebe es, mein Leben mit Menschen und Tieren zu teilen. Deshalb engagiere ich mich in meiner Freizeit auch stark für den Tierschutz und bin bei verschiedenen Tierschutz- und Umweltschutzverbänden aktiv. Aktuell kümmere ich mich besonders um den Schutz von Wildpferden und Wölfen; sie werden in den USA leider vielerorts gejagt. Manchmal schwimme ich auch mit Delphinen; sie müssen auch geschützt werden! Und die Eisbären natürlich!
Und Anfänger-Models, die auch?
Klar, aber nicht von mir!
Was rätst Du dem Model-Nachwuchs?
Sich selbst treu zu bleiben, sich nicht verbiegen zu lassen. Außerdem ist es wichtig, Geduld mitzubringen. Es braucht Zeit, eine Model-Karriere aufzubauen; das geschieht nicht von heute auf morgen!
Herzlichen Dank für das Gespräch und alles Gute für die Zukunft!